
«Meine Söhne lernen einen anderen Umgang mit Geld», sagt Gino, der als Pflegefachmann in einem Spital arbeitet. «Bei uns ist es strenger als bei ihnen zu Hause.» Das spürt auch Ginos Stieftochter Alina: Manchmal ist die Neunjährige ein bisschen neidisch auf ihre Stiefgeschwister. Zum Beispiel, als diese von ihrem Besuch in den «Harry Potter»-Studios in London erzählten. «Aber wenn die beiden bei uns sind, werden wir alle gleich behandelt.» Fairness liegt der Familie am Herzen.
«Wir sprechen mehr über Geld als andere Familien», glaubt Nicole. Das sei zwar manchmal anstrengend, aber die Vorteile überwögen. «Die Kinder profitieren von den unterschiedlichen Ansichten», ist die Chemielaborantin überzeugt. «Das erweitert ihren Horizont.» Noch vor ein paar Jahren sei das Unverständnis der beiden Jungs grösser gewesen, wenn Gino und sie zu einer Ausflugsidee nein gesagt hätten. «Aber inzwischen wissen sie, wie der Hase bei uns läuft.»
Nicole und Gino ziehen in Sachen Finanzerziehung an einem Strang.
«Wir sprechen mehr über Geld als andere Familien.»
Nicole Neuenschwander
Die beiden Jungs haben in den letzten Jahren gelernt, welchen Wert Geld hat. «Ich habe mit Finn damals ein kleines Experiment gemacht», erzählt ihr Vater und lacht. Als sein jüngerer Sohn enttäuscht darüber war, dass sie nicht wie erhofft in den Europapark gehen, habe er ihm die Aufgabe gegeben auszurechnen, was ein Aufenthalt dort kosten würde. «Ich war erstaunt», erinnert sich der 12-Jährige. «Allein die Eintrittstickets für fünf Personen waren irrsinnig teuer.» Mit jedem zusätzlichen Posten – Übernachtung, Essen, Benzinkosten – sei ihm das finanzielle Ausmass einer solchen Unternehmung bewusster geworden.
Leo (14) und Finn (12) geben für ihre Hobbys kaum eigenes Geld aus.
«Ich war erstaunt, als ich ausgerechnet habe, was ein Aufenthalt im Europapark für fünf Personen kosten würde.»
Finn, 12 Jahre
«Es ist mir wichtig, dass meine Söhne einerseits wissen, was Dinge kosten, und andererseits schätzen, was wir ihnen alles ermöglichen», sagt Gino. Er erwarte keine Dankbarkeit, aber es solle auch nicht alles selbstverständlich sein. «Dazu gehört auch, dass man Sorge zu seinen Sachen trägt. Und dass man sich selbst immer wieder hinterfragt, was man wirklich braucht.» Das finanzielle Bewusstsein seiner Söhne sei in den letzten Jahren zusehends gewachsen.
«Es ist mir wichtig, dass meine Söhne einerseits wissen, was Dinge kosten, und andererseits schätzen, was wir ihnen alles ermöglichen.»
Gino Lüthi
Nur beim Thema Ferien gibt es ab und zu noch Diskussionen. «Wir machen nur einmal pro Jahr einen grösseren Familienurlaub, sagt Nicole. Das gemeinsame Haushaltseinkommen beträgt rund 11’000 Franken – abzüglich etwa 2’000 Franken Alimenten. «Da Finn und Leo mit ihrer Mutter öfter und meist auch weiter wegfahren, verstehen sie das manchmal nicht.» Alina nickt. «Die beiden waren über Ostern in New York. Und ihre erste Frage, als sie wieder bei uns waren, war, wo es als nächstes hingeht.»
Nicole ist froh, dass die Kommunikation mit Ginos Ex-Partnerin so gut funktioniert. Grössere finanzielle Anliegen werden persönlich diskutiert und beide Seiten halten sich an die Scheidungskonvention. «Es ist uns allen wichtig, einen Kompromiss zu finden.» Während es bei Schul- oder Gesundheitsthemen kaum Diskussionen gebe, sei es bei der Finanzierung von Hobbys oder anderen Freizeitausgaben oft schwieriger, einen gemeinsamen Nenner zu finden. «Aber alle Parteien wissen, dass gewisse Entscheide gemeinsam getroffen werden müssen.»
Trotzdem ist die Herausforderung gross: Die Jungs seien einen anderen Umgang mit Geld gewohnt, sagt Gino. «Ihre Mutter twintet ihnen Geld, wenn sie danach fragen – beispielsweise für Essen oder ein Busticket. Sie kennen deshalb das Gefühl nicht, kein Geld zu haben.» Er persönlich finde das schwierig, auch wenn die Jungs mit ihrer Mutter am Monatsende über die Ausgaben sprächen. «Ich bin ein grosser Fan von Bargeld. Meiner Meinung nach hilft es, ein besseres Gespür für den Wert von Geld zu bekommen.»
«Meiner Meinung nach hilft Bargeld, ein besseres Gespür für den Wert von Geld zu bekommen.»
Gino Lüthi
Für Alina gibt’s deshalb nur Bares – allerdings nicht in Form von Sackgeld: Stattdessen kann sie – wie theoretisch auch die Jungs – Aufgaben aus einem Ämtli-Plan auswählen. «Ich sehe nicht ein, warum Kinder einfach so Geld bekommen sollten», sagt Nicole. Ihr Partner stimmt ihr zu. Fürs Staubwischen gibt’s 50 Rappen, fürs Saugen einen Franken pro Stockwerk. «Fensterputzen wäre lukrativer, aber daran zeigt Alina kein Interesse», kommentiert ihre Mutter und lacht.
Alina kann sich mit Ämtli Geld verdienen. Sackgeld bekommt sie nicht.
«Ich sehe nicht ein, warum Kinder einfach so Geld bekommen sollten.»
Nicole Neuenschwander
Und wie findet die Tochter diese Regelung? «Es ist ja alles freiwillig», antwortet Alina. «Und wenn ich wirklich etwas brauche, zahlt Mama es ohnehin.» Am liebsten wische sie Staub. «WC-Putzen gehört definitiv nicht zu meinen Lieblingsaufgaben. Da schaut Mama auch immer sehr genau, ob ich es gut gemacht habe.» Nicole stimmt zu. «Es bringt ja niemandem etwas, wenn ich es nachher doch selbst machen muss: Sie lernt nichts und mir ist nicht geholfen.»
Alinas Ämtliplan zeigt übersichtlich, wie viel sie für jede erledigte Aufgabe erhält.
Auch Alinas Stiefgeschwister bekommen von ihrer Mutter kein Sackgeld – dafür aber regelmässig Geldgeschenke zum Geburtstag und zu Weihnachten, die sie teilweise für ihre Hobbys ausgeben. Für grössere Wünsche packen auch sie mit an. «Ich habe meinem Gotti letztes Jahr zwei Wochen lang im Garten und im Büro geholfen, um mir ein Töffli kaufen zu können», erzählt Leo.
Nicole weiss, dass sie in Bezug auf Geld konsequent und streng erzieht. «Alina wirft mir das auch manchmal vor», gesteht sie. Aber: Im Nachhinein gebe sie ihr meistens recht. Und von anderen Eltern bekomme sie ausschliesslich gute Rückmeldungen über Alinas Hilfsbereitschaft. Natürlich müsse man die Finanzerziehung anpassen, wenn einmal grössere Wünsche anstünden. «Aber noch hat Alina keine.»
Grössere Wünsche hat Alina noch nicht: Am liebsten liest sie.
Ein eigenes Smartphone mit monatlichen Gebühren etwa sei zum Glück noch kein Thema. «Und wenn es mal so weit ist, wird sie einen Teil dazu beitragen müssen. Wir schenken aus Überzeugung kein Geld.» Womöglich würden Gino und sie zukünftig wieder Sackgeld einführen. «Aber auch das wird an Bedingungen geknüpft sein, zum Beispiel daran, dass Alina ihr Zimmer aufräumt. Geld fällt schliesslich nicht einfach so vom Himmel.»
«Wir schenken aus Überzeugung kein Bargeld.»
Nicole Neuenschwander
Gemeinsame Zeit ist der Patchworkfamilie am wichtigsten.
Dass ihr Vater und ihre Stiefmutter in Geldangelegenheiten anders ticken als ihre Mutter, haben Finn und Leo inzwischen verstanden. «Es ist spannend und lehrreich, verschiedene Perspektiven zu kennen», sagt Finn. Und fügt augenzwinkernd hinzu: «Trotzdem bin ich froh, dass ich für mein Geld nicht arbeiten muss.»
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