
«Es war keine einfache Zeit.» Die zweifache Mutter wird ganz leise, wenn sie mit ihren Gedanken in die Vergangenheit zurückkehrt. «Ich war froh, wenn ich am Monatsende noch fünf Franken auf dem Konto hatte.» Am meisten habe sie in all den Jahren bei sich selbst gespart: «Ich habe immer versucht, den Kindern alles zu ermöglichen.» Ihre Tochter Sara hatte viele Hobbys: Klavier, Fussball und Ballett. Ihr Bruder Luis ist ebenfalls aktiv, er spielt Fussball und macht Karate. «Ohne die Unterstützung meiner Eltern hätte ich den Kindern ihre Hobbys schlichtweg nicht ermöglichen können.» Einschränkungen gab es trotzdem – zum Beispiel bei den Ferien. «Ich habe Sara und Luis erklärt, dass es Grenzen gibt.» Um so mehr habe vor allem ihre Tochter Urlaube zu schätzen gewusst: «Unseren Aufenthalt auf Kreta vor zwei Jahren werde ich nie vergessen», sagt die 15-Jährige und lächelt.
Inzwischen leistet sich Andrea Kleiner immer öfter was. Ihre grosse Schwäche ist Pokémon – sie sammelt unter anderem Karten.
«Ich war froh, wenn ich am Monatsende noch fünf Franken auf dem Konto hatte.»
Andrea Kleiner
Sara selbst stehen 100 Franken pro Monat zur Verfügung. «Davon kaufe ich Hygieneartikel und alles, was nicht unbedingt nötig ist – also zum Beispiel Schminke oder Kleidung, die ich eigentlich nicht brauche.» Alles andere übernimmt ihre Mutter – auch das Handy-Abo und auswärtige Mahlzeiten. «Ich möchte nicht, dass Sara aus dem Kreis ihrer Freundinnen ausgeschlossen ist.» Trotzdem ist das Geld der 15-Jährigen manchmal bereits am ersten Tag des Monats weg, weil sie mit ihren Kolleginnen shoppen geht. «Dann muss ich in den sauren Apfel beissen und auf den nächsten Monat warten», sagt Sara zerknirscht. Manchmal steckt ihr ihre Mutter dann zusätzlich einen Batzen zu. «Aber Sara schafft es inzwischen immer besser, sich das Geld einzuteilen», freut sich Andrea.
Die beiden Geschwister mussten nie auf ihre Hobbys verzichten.
«Wenn mein Geld bereits am ersten Tag des Monats weg ist, muss ich in den sauren Apfel beissen und auf den nächsten Monat warten.»
Sara, 15 Jahre
Sara kann grundsätzlich frei über ihr Geld verfügen. Aber es gibt Ausnahmen: Beim Thema künstliche Nägel etwa hat ihre Mutter ihr Veto eingelegt. «Sie findet, das ist zu teuer», seufzt Sara. «Ja, weil die Kosten für eine Nail-Stylistin regelmässig anfallen», erklärt Andrea ihrer Tochter. «Wie willst du das zahlen?» Dass Sara trotzdem Kunstnägel hat, verdankt sie einer Freundin. «Sie macht sie mir gratis.» Ebenfalls auf ihrer Wunschliste: ein Piercing. «Dagegen habe ich nichts einzuwenden», sagt Andrea. Allerdings gehört das für sie klar in die Kategorie Luxus. «Sie muss es deshalb selbst zahlen. Kinder müssen wissen, dass das Geld nicht auf den Bäumen wächst.»
Sara liebt es, sich zu schminken. Für ihre künstlichen Nägel ist eine Freundin zuständig.
«Meine Mutter findet, dass Kunstnägel zu teuer sind.»
Sara, 15 Jahre
Sara besucht die 9. Klasse einer privaten Sekundarschule in Bern. Sie leidet an Dyskalkulie – einer Lernstörung, bei der es ihr schwerfällt, Zahlen und mathematische Zusammenhänge zu verstehen. Auch wurde sie an ihrer früheren Schule gemobbt, erzählt die Schülerin. «An der neuen Schule fühle ich mich viel wohler.» Dass die Kosten für die Privatschule das Haushaltsbudget enorm belasten, war nie Thema: «Ich halte die Kinder von meinen finanziellen Sorgen fern», betont Andrea. Die Kosten für die Privatschule belaufen sich auf rund 14’000 Franken pro Jahr. «Das ist sehr viel Geld.» Ohne die Unterstützung ihrer Eltern und Schwiegereltern wäre das nicht möglich. Auch ihr Bruder – Saras Götti – übernimmt einen Teil der Kosten. «Dabei sind wir finanziell alle nicht auf Rosen gebettet», so Andrea. Umso wichtiger sei es ihr, das Geld ratenweise an ihre Familie zurückzuzahlen.
«Kinder müssen wissen, dass das Geld nicht auf den Bäumen wächst.»
Andrea Kleiner
Durch den Bürojob hat sich die finanzielle Situation gebessert. Doch viel ist es für eine dreiköpfige Familie nach wie vor nicht. Sara hat manchmal Mühe mit dem knappen Haushaltsbudget ihrer Familie – vor allem, weil viele ihrer Klassenkameradinnen aus wohlhabenden Familien stammen. «Da können wir natürlich nicht mithalten.» Trotzdem: Dass mittlerweile mehr Geld zur Verfügung steht, spüre sie. «Wir haben zwar immer Sachen zusammen unternommen, aber früher wars meist der Spielplatz.» Heute liege auch mal ein Tag mit Shopping, Restaurant oder ein Kinobesuch drin. Nach den Sommerferien wird der Teenager an eine Fachmittelschule wechseln. Das wird das Budget massiv entlasten.
«Ich halte die Kinder von meinen finanziellen Sorgen fern.»
Andrea Kleiner
«Ich kaufe am liebsten Lego.» Luis lacht. Er ist 7 Jahre alt und besucht die 2. Primarschulklasse. Seine zwei Franken Sackgeld pro Woche hortet er in einer Spardose. Er ist genügsam: Wenn er Geld ausgibt, dann für Süsses – und für Lego. «Zuletzt habe ich mir ein Animal-Crossing-Set gekauft», erzählt er stolz. Für seine Mutter ist Luis unkompliziert, was Geld anbelangt. «Wir besprechen seine Wünsche und überlegen zusammen, wie und wann er sie sich erfüllen kann.» So langsam beginnt allerdings auch der Primarschüler, sich für Markenkleidung zu interessieren. «Wenn er ohnehin was Neues braucht, schaue ich, ob ich passende Second-Hand-Stücke finde», erklärt Andrea. Auf diese Weise habe sie auch das heiss ersehnte YB-Shirt ergattert.
Luis spart sein Sackgeld: Er gibt es unter anderem gerne für Lego aus.
«Ich kaufe am liebsten Lego. Zuletzt habe ich mir ein Animal-Crossing-Set gekauft.»
Luis, 7 Jahre
Am meisten spart Andrea noch immer bei sich selbst. «Aber ich leiste mir inzwischen immer öfter was.» So gibt sie auch mal ihrer grossen Schwäche nach: Pokémon. Die 34-Jährige besitzt Pokémon-Bilder, -Stofftiere und natürlich -Sammelkarten. Und Andrea liebt Musik: Sie hat bereits Tickets für ein Konzert von Hans Zimmer und im Juni wird sie das Greenfield Festival mit Freunden besuchen. «Aber meist treffe ich meine Freunde immer noch zu Hause. Das spart Geld.» Wer jahrelang penibel habe budgetieren müssen, werde nicht plötzlich ein anderer Mensch.
Inzwischen muss Andrea Kleiner (links) nicht mehr jeden Rappen umdrehen, um ihren beiden Kindern ein schönes Leben zu bieten.
Ausserdem steht die nächste finanzielle Herausforderung bereits vor der Tür: Sara wird im Mai konfirmiert und bekommt ihr Wunschgeschenk: eine Reise nach Barcelona. Die Verwandtschaft hat zwar zusammengelegt, aber Andrea möchte auf keinen Fall, dass ihre Eltern zu viel zahlen. «Das müssen wir noch diskutieren», sagt sie lachend. Irgendwie wird sie ihren Anteil schon zusammenbekommen – auch wenn es ein finanzieller Kraftakt werden wird. «Die Freude, meiner Tochter ihren Herzenswunsch erfüllen zu können, überwiegt.»
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