
Nicole Platel, welche Empfehlungen hat Pro Juventute, um Kindern und Jugendlichen einen verantwortungsvollen Umgang mit Geld näherzubringen?
Finanzkompetenz ist eine Schlüsselkompetenz. Mit Kindern über Geld zu reden, ist darum das A und O. Das ist die Kernempfehlung der Pro Juventute. Kinder legen gegenüber vielen Dingen eine natürliche Neugier an den Tag – auch gegenüber Geld. Sobald sich eine Neugier dieser Art abzeichnet, gilt es diese als Eltern aufzunehmen und mit dem Nachwuchs dazu ins Gespräch zu treten. Denn Konsum ist in unserem Alltag omnipräsent und Geld somit per se ein wichtiges Thema.
Wie kann das von Eltern in der Praxis umgesetzt werden?
Schon relativ früh im Leben eines jeden Kindes gibt es für Eltern die Möglichkeit, Gespräche dieser Art zu beginnen. Das kann in unterschiedlicher Form geschehen, beispielsweise in Form von Rollenspielen: Meine beiden Töchter, die im Kindergarten- und Primarschulalter sind, haben zum Beispiel immer gerne Restaurant gespielt: Aus Knetmasse haben sie jeweils ein Menü kreiert, das die Gäste dann bezahlen mussten. Ein anderes Mal, wenn ich die Lokführerin gespielt habe, habe ich etwa ins Rollenspiel eingebaut, dass die Kinder ein Billett zahlen mussten, um einsteigen zu können. So kann man bereits bei kleinen Kindern spielerisch einen Zugang zu Geld schaffen.
«Finanzkompetenz ist eine Schlüsselkompetenz.»
Nicole Platel, Direktorin von Pro Juventute
Welche Geldmittel sind von Bedeutung, wenn die Kinder schon etwas älter sind?
Bei älteren Kindern spielt das Sackgeld eine wichtige Rolle. Dieses ist aus der Sicht von Pro Juventute ein ganz wichtiges und auch zentrales Mittel – einerseits, um mit Kindern über Geld zu sprechen, andererseits können sie dank Sackgeld Erfahrungen im Umgang mit Geld sammeln. So gewinnt der Nachwuchs wichtige Erkenntnisse, die auch im späteren Leben von Bedeutung sind – zum Beispiel, dass man sich mit begrenzten finanziellen Mitteln auch nur eine bestimmte Anzahl an Wünschen erfüllen kann. Sackgeld ist daher ein ideales Mittel, um mit Kindern über Geld zu reden.
Welche Empfehlungen hat Pro Juventute zu Sackgeld allgemein?
Besonders bei kleinen Kindern ist es sinnvoll, das Sackgeld physisch auszuzahlen – also in Form von Noten und Münzen. Man darf nicht vergessen: Für Kinder ist Geld ein abstraktes Konzept. Mit der physischen Auszahlung können Eltern dieses für Kinder wortwörtlich greifbar machen. Ein Beispiel: Für meine jüngere Tochter war es eine ganze Weile lang wichtiger, eine höhere Anzahl an Münzen statt nur einer Note zu besitzen – also etwa fünf Zehnräppler anstatt einer Zehnernote. Sie glaubte, dass die höhere Anzahl auch mit mehr Wert einhergehe. Jetzt beginnt sie langsam zu verstehen, dass es Münzen und Noten mit verschiedenem Wert gibt und sich etwa je nach Farbe der Note ein anderer Wert dahinter verbirgt. Das finde ich spannend zu beobachten und auch interessant, um es als Gesprächseinstieg zu nutzen.
Inwiefern sind aus der Sicht von Pro Juventute elterliche Vorgaben für die Verwendung von Sackgeld sinnvoll?
Die Haltung von Pro Juventute ist jene, dass Sackgeld den Kindern zur freien Verfügung stehen soll. Das heisst: Die Eltern sollen möglichst keinen Einfluss darauf nehmen und keine Vorschriften machen, wozu das Kind sein Sackgeld einsetzen darf. Denn Kinder müssen im Umgang mit Geld auch Fehler machen dürfen. So kann ein Lerneffekt erfolgen.
«Die Eltern sollen möglichst keinen Einfluss darauf nehmen und keine Vorschriften machen, wozu das Kind sein Sackgeld einsetzen darf.»
Nicole Platel, Direktorin von Pro Juventute
Aber: Sackgeld muss sich in die allgemeinen Familienregeln einordnen. Meine Töchter dürfen beispielsweise durchaus ihr ganzes Sackgeld für Süssigkeiten ausgeben, wenn sie das möchten – nichtsdestotrotz gibt es von unserer Seite als Eltern trotzdem die Regel, dass nur eine bestimmte Anzahl davon am Tag gegessen werden darf. Bei uns in der Familie ist auch Feriengeld ein Thema. Es handelt sich dabei um einen festgelegten Betrag, den die Kinder während den Ferien ausgeben dürfen. Wenn aber zum Beispiel der gesamte Betrag bereits im ersten Geschäft ausgegeben wird und man dann im nächsten etwas findet, was eigentlich noch viel toller ist – was dann? Das sind genau diese Erfahrungen, die für Kinder wichtig sind.
Wie steht Pro Juventute dazu, Sackgeld als Belohnung oder Bestrafung einzusetzen?
Sackgeld sollte weder an Belohnung noch an Bestrafung gekoppelt sein. Andererseits spricht nichts dagegen, die unternehmerische Neugier von Kindern zu fördern, indem man bestimmte Zusatzaufgaben entlöhnt. Unsere jüngere Tochter kann sich beispielsweise jeweils fünfzig Rappen verdienen, wenn sie ihre Schuhe putzt. Wichtig ist einfach, dass man solche bezahlten Aufgaben immer unabhängig vom Sackgeld betrachtet und genau festlegt, was unter Grund- und Zusatzaufgaben fällt.
Eine im Oktober 2024 durchgeführte Studie hat gezeigt, dass ein Drittel aller Kinder in der Schweiz zwischen 6 und 12 Jahren kein Sackgeld erhält. Welche Alternativen gibt es stattdessen, um Kinder an den Umgang mit Geld heranzuführen?
Gemeinsam als Familie Geld zu thematisieren und mit Kindern darüber zu reden, ist auch in solchen Fällen wichtig. Pro Juventute spricht sich aber ganz klar für Sackgeld aus – so können Kinder kontinuierlich Verantwortung übernehmen und Selbstwirksamkeit erfahren und haben die Möglichkeit, in einem geschützten Rahmen Fehler zu machen und daraus zu lernen.
Was unternimmt Pro Juventute, um Kindern und Jugendlichen den Umgang mit Geld näherzubringen?
Wir bieten auf unserer Website projuventute.ch viele Informationen zu dem Thema an – unter anderem für Eltern, aber nicht nur: Für Jugendliche der Sekundarstufe haben wir ausserdem ein Budgetspiel entwickelt, das von Lehrpersonen im Unterricht genutzt werden kann und sich mit Themen rund um Budget befasst. Es ist uns wichtig zu betonen, dass zu erlernende Kompetenzen nicht losgelöst voneinander behandelt werden, weshalb wir zum Beispiel in unseren Programmen zu Medienkompetenz auch das Bezahlen im digitalen Raum aufgreifen. Denn hier sind die Verlockungen noch grösser: Virtuelles Geld ist einfacher zum Ausgeben als physisches. Darum ist es wichtig, sich als Eltern auch damit auseinanderzusetzen.
Apropos: Zahlungen werden in der heutigen Zeit vermehrt online ausgeführt. Inwiefern ist das für den Umgang mit Sackgeld beziehungsweise Geld allgemein von Bedeutung?
Aus Sicht von Pro Juventute geht Finanzkompetenz Hand in Hand mit Medienkompetenz. Wie eingangs angesprochen, sind Kinder von Natur aus neugierig – wenn sie die Eltern zum Beispiel beim Einkaufen begleiten, beobachten sie, dass an der Kasse oft nicht mehr mit physischem Geld bezahlt wird, dafür aber mit Karte, Uhr, Handy oder anderen Mitteln. Auch das kann ein guter Gesprächseinstieg sein und man kann die Kinder miteinbeziehen – zum Beispiel, indem man sie mit dem Handscanner die Lebensmittel scannen lässt – und ihnen so aufzeigen, dass der Kaufbetrag mit jedem Scannen zunimmt. Für Sackgeld wiederum ist es denkbar, dass man zum Beispiel ab der Mittelstufe bargeldlose Möglichkeiten und die Nutzung von entsprechenden Apps in Betracht zieht.
«Aus Sicht von Pro Juventute geht Finanzkompetenz Hand in Hand mit Medienkompetenz.»
Nicole Platel, Direktorin von Pro Juventute
Unabhängig davon, dass unsere Welt zunehmend digital wird, so bleiben die Grundprinzipien für einen verantwortungsvollen Umgang mit Geld doch die gleichen: Es geht darum, die natürliche Neugier des Kindes als Anlass für Gespräche zu nutzen und sie eigene Erfahrungen sammeln zu lassen.
Wie bereits angesprochen, sind Sie Mutter von zwei Töchtern im Kindergarten- und Primarschulalter. Wie setzen Sie das Thema Sackgeld im Familienalltag um?
Meine Mädchen nutzen beide je ein Sparschwein mit vier Abteilen: Das erste ist für Geld gedacht, das schnell wieder ausgegeben wird – zum Beispiel für Süssigkeiten. Das zweite Abteil ist für Sparziele wie etwa ein Velo gedacht. Meine ältere Tochter schreibt dann jeweils ihren aktuellen Sparwunsch auf ein Post-it und klebt dieses ans Sparschwein – quasi als Reminder für sich selbst: «Wofür spare ich überhaupt?»
Das dritte Abteil ist fürs Investieren gedacht. Auch das gilt es kindgerecht zu veranschaulichen: Wir haben unserer älteren Tochter zum Beispiel erklärt, dass ihr mit ihrem Fondskonto ein kleiner Teil eines Unternehmens gehört. Wenn dieses Gewinn macht, steigt auch der Wert des eigenen Anteils daran. Das vierte und somit letzte Abteil ist für gute Taten gedacht – hier geht es darum aufzuzeigen, dass man Geld auch für gute Zwecke einsetzen kann. Erst vor kurzem hat sich meine Grosse dafür entschieden, Geld in dieses Abteil zu stecken. Sie meinte, es gäbe andere Kinder, denen es nicht so gut geht wie ihr. Auch hier bietet sich für Eltern ein guter Gesprächseinstieg, indem man Rückfragen stellt: Wem genau möchtest du Geld spenden? Wem soll es dadurch besser gehen?
Werden die Kinder älter, ändern sich ihre Bedürfnisse – auch der Stellenwert von Geld bekommt im Zuge dessen eine neue Bedeutung. Werden Sie daher Anpassungen beim Sackgeld vornehmen, wenn Ihre Kinder ins Teenageralter kommen?
Wir nehmen bereits jetzt jährlich Anpassungen vor und erhöhen den Betrag des Sackgelds mit jedem Jahr. Wir werden später vom Sackgeld auf den Jugendlohn umsteigen. Hier ist der Geldbetrag zwar höher und den Betrag zahlt man nicht mehr wöchentlich, sondern zum Beispiel monatlich aus, aber man kann den Nachwuchs dafür sensibilisieren, dass man – wie im späteren Erwachsenenleben – mit Geld auch Sachen bezahlen muss, die nicht unbedingt Spass machen, wie etwa Versicherungen oder das Handy-Abo. Wie beim Sackgeld sollten sich Eltern auch hier zurückhalten, was Vorgaben zur Verwendung des Jugendlohns betrifft. Ist das Geld dann bereits Mitte Monat aufgebraucht, ist dies ein guter Grund, mit dem Nachwuchs ein erneutes Gespräch zur Einteilung des zur Verfügung stehenden Gelds zu führen.
Nicole Platel ist seit März 2024 Direktorin von Pro Juventute.
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