Reportage: Eine Familie setzt auf bewussten Konsum 
Miriam Bosch 9 Minuten

Familie A. geht es finanziell gut: Vater Markus (39) arbeitet als Projektleiter bei einer Bank, Mutter Fabienne (39) als kaufmännische Angestellte bei einer humanitären Organisation. Gerade wegen ihrer privilegierten Situation liegt es den Eltern am Herzen, ihren beiden Kindern zu vermitteln, dass der grosszügige Umgang mit Geld nicht selbstverständlich ist – und wie wichtig es ist, bewusst zu konsumieren.

Seit kurzem bekommen Nevio (11) und seine Schwester Noelie (8) kein Taschengeld mehr. Es ging einfach zu oft vergessen – vor allem auch deshalb, weil die Eltern andere Prioritäten setzen, insbesondere den bewussten Umgang mit Geld. «Unser Fokus liegt darauf, das finanzielle Bewusstsein der beiden zu schärfen und ihnen beizubringen, ihre Wünsche zu reflektieren», bringt es Vater Markus A. auf den Punkt. «Es ist uns daher auch nicht wichtig, dass die Kinder regelmässig eigenes Geld bekommen.» Wenn Nevio sich auf dem Schulweg ab und zu mal etwas Süsses kaufen wolle, dürfe er das – vorausgesetzt, er frage vorher. Und auch bei Ausflügen oder auf dem Markt dürften sich die Kinder regelmässig etwas aussuchen. Entscheidend sei für sie als Eltern nicht das Geld an sich, sondern die Verhältnismässigkeit und die Grösse des Bedürfnisses. «Unsere Kinder sollen sich fragen: Brauche ich das wirklich oder nicht? Wir möchten nicht, dass sie Geld ausgeben für Dinge, die dann herumliegen.» Bei Süssigkeiten werde hingegen situativ entschieden – in einer Woche voller Kindergeburtstage müsse nicht auch noch Schokolade gekauft werden.

Noelie (8) und Nevio (11) lieben Süssigkeiten.

Finanzielle Grosszügigkeit

Alles, was die Kinder wirklich brauchen, bekommen sie ohne grosse Diskussionen. «Dazu gehört auch die Ausrüstung für ihre sportlichen Aktivitäten», erläutert Fabienne A. Beide Kinder sind im Skiclub; Noelie tanzt zusätzlich, Nevio spielt Fussball. «Wir diskutieren nicht darüber, ob die Fussballschuhe nun 50 oder 70 Franken kosten. Hauptsache, sie passen und halten eine Weile», sagt Markus A. Seine Frau lacht: «Ich bin in dieser Hinsicht schon etwas sparsamer als du.» Auch kaputte Dinge werden von den Eltern anstandslos ersetzt, sofern sie wirklich gebraucht werden. «Gerade beim Skifahren sind wir grosszügig, weil wir selbst so gern auf den Brettern stehen», gibt die 39-Jährige zu. Da kommen für Ski-Abos, Übernachtungen und Lager regelmässig Hunderte von Franken zusammen. «Es ist ein Privileg, dass wir uns das leisten können – uns ist bewusst, dass es auch anders sein könnte. Aber auch wenn man im Moment genug Geld hat, sollte man sich immer fragen, in was man es investiert.»

Bei ihm sitzt das Geld lockerer als bei ihr: Markus und Fabienne A.

Anders sieht es aus, wenn es um Dinge geht, die aus ihrer Sicht nicht notwendig sind. Zum Beispiel die zusätzlichen Skihandschuhe, die sich Nevio gewünscht hat – die gleichen, die sein Idol Marco Odermatt besitzt. «Etwas, das zwar nicht nutzlos herumliegt, aber auch nicht nötig ist, weil er ja schon Handschuhe hat», erklärt Markus A. «Deshalb haben wir gesagt: Du zahlst die Hälfte, wir übernehmen den Rest.» Nevio waren die Handschuhe wichtig genug, um auf sein Erspartes zurückzugreifen. Bei Noelie ist es ähnlich: Sie wünscht sich ein neues Trottinett, obwohl sie bereits eins hat. «Deshalb bekommt sie es nicht einfach so, sondern muss es sich zum Geburtstag wünschen», bringt es Fabienne A. auf den Punkt. Für Noelie ist das in Ordnung.

Noelie (8) träumt von einem neuen Trottinett.

Am strengsten sind die Eltern, wenn es ums Gamen geht. Weil in der fünften Klasse bereits alle ein Handy haben, hat auch Nevio eins bekommen – ein altes von seinem Vater, ohne SIM-Karte. Drei Spiele durfte er sich herunterladen. «Das reicht in unseren Augen. Auch die Spielzeit haben wir beschränkt.» Etwa eine Stunde pro Woche darf Nevio gamen, am Wochenende auch mal länger. Doch für seinen grössten Wunsch, eine Playstation, sieht der Bub schwarz: «Die werden meine Eltern mir nie schenken», seufzt er. Aber wünschen dürfe er sie sich, sagen seine Eltern. «Die Frage ist nur: Lohnt sich eine Playstation für eine Stunde Spielzeit pro Woche? Denn an der zeitlichen Beschränkung halten wir fest.»

Nachhaltigkeit statt Wegwerfkultur

Bei grossen Anliegen wünschen sich die Kinder statt Geschenken Geld zu Weihnachten und zum Geburtstag – für die Eltern ist das kein Problem, zumal unter dem Baum oder auf dem Geburtstagstisch dann trotzdem kein nüchterner Umschlag, sondern ein richtiges Geschenk liegt. «Grosseltern, Göttis und Gotten geben uns das Geld und wir kaufen damit das Objekt der Begierde», so Mutter Fabienne. So sorgte einmal ein Velo für grosse Augen; ein andermal lagen ein Paar neue Skier samt Helm und Brille unter dem Weihnachtsbaum. «Nevios Glück ist es, dass sein Grossvater ein grosser Skifan ist und ihn ab und zu beschenkt – einfach so. Skifahren ist quasi heilig», hält Vater Markus fest. Auf diese Weise ist der 11-Jährige bereits zu eigenen Slalom- und Riesenslalom-Ski gekommen. «Danke, Grosspapi!», lacht Nevio.

Marco Odermatts Handschuhe sind für Nevio ein Must-have. Die Leidenschaft seiner Schwester Noelie gilt dem Tanzen.

Kaufen die Kinder sich Dinge selbst, ist es den Eltern wichtig, dass es hochwertige Sachen sind. «Am Anfang haben sie sich Billigware gekauft und sich dann geärgert, wenn die Sachen nach kurzer Zeit kaputt waren. Sie haben schnell gemerkt, dass es sich nicht lohnt, Geld dafür auszugeben», so Mutter Fabienne. Inzwischen machen sich Nevio und Noelie darüber mehr Gedanken. Das liegt auch daran, dass die Eltern ihnen Nachhaltigkeit vorleben. 

Eindrückliche Reiseerlebnisse

Die Geschwister wissen um die Grosszügigkeit ihrer Eltern. Das gilt nicht nur für ihre Hobbys, sondern auch für Reisen. «Wir waren schon zusammen in Malaysia, Costa Rica, Neuseeland und Französisch-Polynesien», erzählt der Vater. Die teilweise augenscheinliche Armut habe die Kinder nachdenklich gemacht. «Ich habe erst in Malaysia so richtig gemerkt, wie gut wir es haben», gesteht Nevio. Beim Anblick der Wellblechhütten auf Borneo hat es Noelie kurz den Atem verschlagen. Markus und Fabienne A. erinnern sich zurück: «Wir haben dann mit unseren Kindern darüber gesprochen, dass man dankbar sein muss für das, was man hat und dass Überfluss nicht erstrebenswert ist.» 

Die vielen Reisen haben die Kinder Demut und Dankbarkeit gelehrt.

Dinge wegzuwerfen ist den Eltern ein Dorn im Auge. Das gilt insbesondere für Essen: «Ich hasse Food Waste», sagt Markus A. Beim Einkauf steht bei ihm nicht der Preis an erster Stelle, sondern die Qualität und – wichtiger noch – die richtige Menge. «Es widerstrebt mir, kopflos einzukaufen und am Ende die Hälfte der Lebensmittel verderben zu lassen, weil niemand sie isst.» Dasselbe gelte fürs Auswärtsessen. «Wir bestellen lieber erst einmal drei Gerichte für uns vier», so der 39-Jährige. «Denn nachbestellen kann man dann immer noch.»

Bei Familie A. wird probiert, was auf den Tisch kommt.

Bis jetzt wurde das Ersparte noch nicht angezapft

Noch brauchen die Kinder nicht viel Geld. Die Batzen aus ihren Spardosen kommen am Ende des Jahres auf ein Jugendkonto. «Dort liegen jeweils rund 500 Franken», schätzt Markus A. Bis jetzt wurde das Ersparte noch nicht angezapft. «Aber das wird sich in der Pubertät sicher ändern», schmunzelt er. Dann werden die beiden sich vielleicht auch etwas dazuverdienen wollen – so wie ihr älterer Cousin, der mit 15 Jahren bei ihnen zu Hause Rasen gemäht hat. «Ein Sommerjob ist cool», findet Nevio. Er liebäugelt schon damit, wenn er etwas älter ist. Bäume fällen, wie er es ab und zu mit seinem Vater macht, fände er gut. «Nur Poolputzen würde ich mir nicht unbedingt aussuchen.»